Wien-Wahl 2020 – Ernüchterung und Chance

Absturz der Rechten, Stabilität der Regierungsparteien, Hoffnung von Links. KOLLEKTIV NACH LINKS analysiert, wie Corona-Pandemie, Krise und das politischen Kräftespiel zum Wahlergebnis vom 11. Oktober beigetragen haben. Und welche Spielräume sich für linke Politik ergeben.

Wahl im Zeichen der Pandemie

Corona ist das Thema Nr.1 vor und nach der Wahl. Das hatte zunächst einmal die Auswirkung, dass mit Rassismus diesmal wenig zu gewinnen war. Die Corona-Pandemie konnte keinem Sündenbock in die Schuhe geschoben werden. Nicht nur die FPÖ-Skandale haben zum Vertrauensverlust und Absturz der FPÖ geführt, sondern auch die geschwächte Mobilisierungskraft rassistischer Hetze. Darüber hinaus erreicht die FPÖ mit ihrer Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung von Covid19 („Corona-Hysterie“) noch keine Mehrheiten, unter anderem weil diese Kritik am Beginn der 2. Corona-Welle nicht überzeugen konnte.

Steigende Infektionszahlen nach dem Sommer stießen auf ein unvorbereitetes und unterfinanziertes Management in Wien. Die Stadtregierung reagierte mit Verzögerung, etwa mit neuen Teststraßen oder der kostenlosen Grippeimpfung. Die ÖVP versuchte sich hingegen mit repressiven Maßnahmen, wie der Einschränkung und Kontrolle von Freizeitaktivitäten, zu profilieren. Linke Kritik muss daran ansetzen, dass es mehr Personal, mehr Tests und bessere Organisation braucht, um die Situation in Schulen und an Arbeitsplätzen zu meistern. Finanzielle Unterstützung muss für alle bereitgestellt werden, die durch Corona in Einkommensnot geraten. Da aber solche Stimmen wenig hörbar waren, stellte sich die Politik der Stadtregierung für Viele als alternativlos dar. Der Schaden an der Wiener SPÖ durch das Corona-Chaos hielt sich in Grenzen.

Unsicherheit vor der Zukunft, Angst vor Arbeitslosigkeit, plötzlich angewiesen sein auf staatliche Unterstützung, Krise im Gesundheitssystem – das alles führte zu einem Wunsch nach mehr Stabilität und nach Rückkehr zu den Zuständen von vor der Pandemie. Dies trifft vor allem für diejenigen zu, die in sozialpartnerschaftlich gesicherten Arbeitsverhältnissen stehen. Da bleibt kein Platz für Experimente, sondern man vertraut eher der SPÖ. Ludwigs farblos-stadtväterliches Image konnten dieser konservativen Stimmung am besten entsprechen.

Corona wird die nächsten Monate im Mittelpunkt stehen – ebenso wie die Wirtschaftskrise mit ihren Auswirkungen. Weil die Krise nur mit herkömmlichen Mitteln der Rettung von Unternehmen angegangen wird, öffnet sich Spielraum für eine Linke, die sich klar für die Interessen der Arbeiter*innenklasse einsetzt. Viele, die uns bei dieser Wahl nicht gewählt haben, haben uns dennoch bemerkt und aufmerksam zugehört.

Undemokratischste Wahl ever

Wahlen sind in der bürgerlichen Demokratie eine von wenigen Möglichkeiten, um an politischen Entscheidungen teilzunehmen. 2020 haben 13% weniger Wahlberechtigte als 2015 von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Abgesehen von der Unsicherheit rund um das Infektionsgeschehen war dafür Eines ausschlaggebend: das weitverbreitete Bewusstsein, dass sich bei dieser Wahl nichts ändern wird.

Gleichzeitig sind 30% der Einwohner*innen vom Wahlrecht ausgeschlossen – soviele wie noch nie.

Darüber hinaus finden sich diesmal außerordentlich viele Stimmen für sogenannte Kleinparteien nicht im Gemeinderat wieder, die die 5%-Hürde nicht geschafft haben.

Egal welche Koalition aus dieser Wahl hervorgeht, wird sie so offensichtlich wie noch nie die Regierung einer Minderheit der Bevölkerung in Wien sein.

Die neuen Nichtwähler*innen kommen hauptsächlich aus dem SPÖ- und FPÖ-Lager. Die „Wahlsiegerin“ SPÖ ist in Wirklichkeit die einzige Partei, die zwar relativ dazugewonnen hat, aber gleichzeitig im Vergleich zu 2015 Dutzende Tausend Stimmen verloren hat. Die SPÖ ist nicht in der Lage, klare und entschiedene Antworten auf die Krise zu liefern. Ein Helikopter-Schnitzel-Gutschein ist zu wenig, wenn man gleichzeitig überlegen muss, wie die Miete bezahlt werden soll. Ebenso fehlte eine konsequente Einstellung zur Evakuierung von Flüchtlingslagern – vor allem nachdem das Flüchtlingslager Moria abgebrannt ist. Noch 2015 hatte sich Häupl für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen und damit Wähler*innen mobilisiert.

Dass ein großer Teil der Wiener*innen vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, wurde sogar in den Medien hinterfragt. Es betrifft erstens einen Großteil der Menschen, die prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben. Die Krise stellt ihre Existenz aufs Spiel – und nicht mal an den Wahlen können sie teilnehmen, um ihre Stimme denjenigen zu geben, die ihre Situation kennen ändern könnten. Oder es sind Flüchtlinge, die erst Mega-Hürden überwinden müssen, um einen Job zu bekommen oder schwarz arbeiten müssen, weil ihnen das Recht verweigert wird zu arbeiten und für ihre Existenz selbst aufzukommen. Das Wahlrecht ist nicht alles, aber es ist für viele ein Faktor dafür, ob man sich für die eigenen Interessen einsetzt oder nicht.

Dieses politische System untergräbt die politische Organisierung und Vertretung der Arbeiter*innenklasse. Die Kluft zwischen dem gegenwärtigen Parlamentarismus und der Lebensrealität eines wachsenden Teils der Bevölkerung wird ein wichtiger Faktor für linke Strategie und Praxis sein.

Ein Schritt nach vorne für die Linke

Drei neue Parteien haben unerwartet viele Stimmen für sich gewinnen können, auch wenn es nicht für den Gemeinderat gereicht hat. Es ist die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik, die diese Projekte entstehen ließen.

BIER ist nicht nur eine Spaß- und Satire-Partei. In ihrem Video zur Wahl wird gnadenlos über ÖVP und FPÖ hergezogen. Ein weiterer wichtiger Punkt im Programm ist ganz sicher nicht als Spaß gemeint: Punkt 4 „Fixkosten decken – Kulturstätten retten“. Oder aus Punkt 10 „..Ein jeder Mensch ist nicht gleich, aber gleichwertig. An dieser Feststellung lassen sich sämtliche weiteren politischen Maßnahmen als Leitschnur orientieren…“. Die Bierpartei ist ein Ausdruck für die Ausweglosigkeit und den Frust, den Menschen gegenüber der Krise und der Corona-Pandemie empfinden, verbunden mit einem klaren Statement gegen FPÖ, Strache und ÖVP.

Viele Forderungen im Wahlprogramm von SÖZ widmen sich der sozial-gerechten Umverteilung und dem Klimaschutz. Trotzdem ist SÖZ vor allem das Produkt des herrschenden Rassismus; insbesondere gegenüber der türkischen Community. Martha Bißmann ist nicht zufällig die Spitzenkandidatin. Als wilde Abgeordnete hat sie sich Respekt in der türkischen Community erarbeitet, als sie sich im Parlament gegen das Kopftuchverbot und mit der Ali-Kampagne gegen die Verunglimpfung türkischer Mitbürger*innen einsetzte. Das Projekt SÖZ konnte auch deswegen entstehen, weil sich bisher keine linken Projekte diesen Respekt ausreichend erarbeiten konnten mit einem Anti-Rassismus ohne Wenn und Aber.

Als LINKS-Aktivist*innen freuen wir uns besonders über das Abschneiden des Wahlbündnisses aus LINKS und KPÖ. LINKS hat in kurzer Zeit und mit wenigen Mitteln eine Wahnsinns-Wahlkampagne aufgezogen. Wir konnten die Chance nutzen, die die Schwächung der Rechten und die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems geboten haben, mit Pandemie und Wirtschaftskrise klarzukommen. LINKS hat sich in vielen Fragen stark positioniert und Proteste mitorganisiert: Evakuierung von Moria („Wien ist im Aufnahmezustand“), Klimastreik, LGBTQIA+-Proteste. 12% der unter 29-jährigen haben „Sonstige“ (ohne Strache) gewählt – darunter sind viele Stimmen für LINKS.

LINKS hat daher nicht einfach enttäuschte Grün- und SPÖ-Wähler*innen abgeholt. Unsere Kampagne wurde maßgeblich von bewegungsorientierten Linken getragen, die schon längst für politische Alternativen offen sind. Viele sind jetzt dazu bereit, an einer Organisation weiterzuarbeiten, die Akzente in der Krise, gegen Rassismus und für eine sozial gerechte Klimawende setzt.

Wir haben nun die Möglichkeit, unsere Kampagnenstruktur zu einer politischen Organisation weiterzuentwickeln, unter Rückgriff auf die gewonnenen Ressourcen und Vertretungsmandate. Die Herausforderung des „politischen Aufbaus“ liegt für die LINKS-Führung vor allem darin: Grundlagen liefern für einen kontinuierlichen, gemeinsamen Diskussionsprozess aller LINKS-Aktivist*innen über politische Perspektiven und zentrale Entscheidungen.

Wir sind gekommen, um zu bleiben!

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